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Neugierig beschnuppert der Esel das Rad.
Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren: Zwischen dem Letzten jeden Monats und dem darauf folgenden Dritten des Folgemonats ist die Arbeit in der Geschäftsstelle der VIF Vereinigung Integrationsförderung in der Münchner Klenzestraße eng getaktet. Karl Langer ist hier für die Lohnabrechnung im Auftrag von behinderten Arbeitgebern zuständig. Das bedeutet: Die Löhne der Assistenzkräfte müssen berechnet, Mitteilungen an die Stadt München, die Pflegekasse und drei weitere Kostenträger versandt werden. Ein simpler Zahlendreher oder eine andere Ungenauigkeit würden bei den Assistenzkräften und allen anderen Beteiligten für Mehrarbeit und Verdruss sorgen.
Hans Rode ist zeitig im Büro und richtet alles her, damit Karl Langer unverzüglich mit der Arbeit loslegen kann, sobald er eintrifft. Sind genügend Toner-Kartuschen für den Drucker da? Ist Tee für die Mitarbeiter im Büro gekocht? "Ich erledige alle Handgriffe, die Karl nicht durchführen kann", sagt Rode. Langer leidet an einer Tetraspastik, das bedeutet: Er kann seine Extremitäten nicht bewegen. Nur die rechte Hand setzt er - mit großen Einschränkungen - ein. Praktisch alle Tätigkeiten, bei denen Gegenstände bewegt werden müssen, übernimmt Hans Rode.
Seit 30 Jahren bei Karl Langer angestelltDer 51-Jährige arbeitet seit fast 30 Jahren als Langers Assistenzkraft. "Angefangen hat es mit dem Zivildienst, den ich in der Pfennigparade leistete", erinnert er sich. "Damals unterstützte ich Schüler mit Behinderung an der Fachoberschule bei ihrer Ausbildung." Unter ihnen war auch Karl Langer. Es war der Beginn einer langen und harmonischen Arbeitsbeziehung: Langer absolvierte nach der Fachoberschule ein Betriebswirtschafts-Studium, zog von München nach Erlangen, um dort einen Pflegedienst mit aufzubauen. Von Erlangen ging es nach einiger Zeit wieder zurück nach München. Rode kümmerte sich während dieser Zeit in 24-Stunden-Schichten um Langer, erlebte alle Veränderungen in Langers Leben mit.
Gemeinsam in den Urlaub, zum Schwimmen und zum TanzenWie in anderen Arbeitsverhältnissen, die Jahrzehnte überdauern, wuchs zwischen Rode und Langer das Vertrauen und der Schatz an gemeinsamen Erfahrungen. Die beiden Männer fuhren zusammen nach Taizé, wo sich regelmäßig Christen aus aller Welt treffen, erlebten 1989 den Fall der Mauer in Berlin mit, gingen auf Radtour an der Nordsee, machten Urlaub in der Toskana, wo sie die enge Straßen und steilen Treppen immer wieder vor Herausforderungen stellten: Wie kann sich ein Rollstuhlfahrer in einer Welt bewegen, die sich auf Menschen ohne Behinderung eingestellt hat? Oft improvisierte Hans Rode, baute für den Rollstuhl eine Rampe aus Brettern oder Kies, oder er half Langer, sich aus dem Rollstuhl aufzurichten und einige Schritte zu gehen, um ein Hindernis zu überwinden.
Rode schätzt Langers vielfältige Interessen, denn sie garantieren ihm einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag. Langer geht trotz Behinderung Schwimmen, tanzt mit einem speziellen Rollstuhl und hat vor eineinhalb Jahren sogar neben seiner Arbeit ein Theologie-Studium begonnen. "Für mich ist es ein richtig gutes Gefühl, wenn ich Karl bei seinen Hobbies unterstützen kann", sagt er. Vor einiger Zeit nahmen die beiden an einem Oster-Workshop des Augustiner-Ordens teil und leiteten dort je eine Arbeitsgruppe.
Loyalität ist allesWas seine Schlüsselqualifikation für den Job sei? "Loyalität", sagt Rode, ohne lange nachzudenken, und Karl Langer nickt. "Ich schätze seine Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit." Rode, der Publizistik und Soziologie studiert hat, weiß sich außerdem im rechten Moment zurückzunehmen: "Ich muss mir dessen bewusst sein, wie viel Raum ich einnehmen darf, um mich Karl nicht aufzudrängen oder seine Wahlfreiheit einzuengen." Wie ordentlich die Wohnung zu sein hat, wann geputzt wird, wie oft der Assistenznehmer nach draußen geht - das ist alles seine Entscheidung. Klar gebe es auch Momente, in denen ihn die Arbeit anstrenge oder nerve, sagt Hans Rode. "Putzen ist nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Es muss halt sein." Bereut hat er die Entscheidung, für Karl Langer zu arbeiten, trotzdem nie.
*Namen geändert
Zeit für eine Kaffeepause
Mittwoch Mittag, kurz vor ein Uhr: In Andrea Büttigs Küche riecht's nach Zwiebeln, Basilikum und Parmesan. Gerade hat Kerstin Groll* Pesto zubereitet, "leider nicht den frischen Bärlauch-Pesto, den sie so gut kann", seufzt Andrea Büttig. Lecker wird das Mittagessen trotzdem, mit Appetit machen sich die beiden Frauen über die dampfenden Spaghetti her.
Andrea Büttig ist infolge eines Hirntumors halbseitig gelähmt und braucht im Alltag Unterstützung durch Assistenzkräfte. Anziehen, die Hausarbeit, Fahrten zur Krankengymnastik oder ins Kino - bei allem ist die 34-Jährige auf Hilfe angewiesen. Kerstin Groll gehört seit fast vier Jahren zum zwölfköpfigen Team und kommt je nach Bedarf für eine achtstündige Tages- oder eine 16 Stunden dauernde Nachtschicht in die Fröttmaninger Wohnung.
Nebenher bleibt genügend Zeit für eine weitere TätigkeitDass sie einmal auf Dauer in einem sozialen Beruf arbeiten würde, hätte sie sich früher wohl nicht vorstellen können. Eigentlich ist Kerstin Groll von Beruf Restauratorin und bildende Künstlerin. Doch als sie ein Mitbewohner fragte, ob sie nicht für ein paar Stunden pro Woche als Assistenzkraft bei Andrea Büttig einspringen wolle, sagte sie zu. Aus dem Kurzzeitengagement wurde eine dauerhafte Stelle. Rund 160 Stunden pro Monat arbeitet Kerstin Groll jetzt für Andrea Büttig. Sie ist froh über die soziale Absicherung, die eine vollwertige Stelle bietet und über die Aufgabe, die sie als Menschen voll fordert: "Die Arbeit für Andrea ist persönlich, abwechslungsreich, und meine Meinung zählt in vielen Belangen." Je nachdem, wie sie die Schichten legt, bleibt noch genügend Zeit für andere Aktivitäten. "160 Stunden - das hört sich nach viel an. Aber wenn ich eine Tag- und eine Nachtschicht am Stück arbeite, sind das ja bereits 24 Stunden." Gerade hat sie geheiratet, und sollte je Nachwuchs kommen, würde sie sich wohl mit Andrea Büttig auf flexible Arbeitszeiten einigen, um Familie und Job unter einen Hut zu bekommen.
Die Arbeitgeberin und die Angestellte pflegen ein freundschaftliches Verhältnis - mit allem, was zu einer Freundschaft dazu gehört. "Manchmal nerven wir uns auch gegenseitig", lacht Büttig, aber die Betonung liegt auf "manchmal". Die Freude an der Kreativität verbindet die beiden - Andrea Büttig macht bei einem Performance-Theater mit und malt, Kerstin Groll hat trotz der Arbeit als Assistenzkraft ihr künstlerisches Schaffen nicht aufgegeben. Der Alltag in der Fröttmaninger Wohnung gleich ein wenig dem Leben in einer WG auf Zeit, in der die Beteiligten Humor und Respekt füreinander aufbringen. "Andrea ist die Chefin", stellt Kerstin Groll klar. Was gekocht wird, ob der Fernseher angestellt wird oder die Wohnung ruhig bleibt - als Arbeitgeberin hat die Assistenznehmerin das Sagen. Aber Kerstin Groll macht immer wieder Vorschläge, beispielsweise dann, wenn geklärt werden soll, wohin es bei schönem Wetter am Nachmittag geht. Ihr Geschick zeigt sich bei der Bepflanzung des Balkons, auf dem Rosen blühen und Schnittlauch wächst.
Sie stimmt sich mit den anderen Assistenzkräften ab"Die wichtigste Voraussetzung für die Arbeit als Assistenzkraft ist soziale Kompetenz", sagt Kerstin Groll. "Ich muss mich zurücknehmen können, darf nicht zu ängstlich auftreten, aber muss mir meiner Verantwortung bewusst sein." Immer wieder erlebt Andrea Büttig sogenannte dissoziative Anfälle, bei denen sie das Bewusstsein verliert. Deswegen erlaubt sich Kerstin Groll keine Unaufmerksamkeit - schließlich könnte Andrea Büttig im schlimmsten Fall verunglücken, sollte sie etwa mit dem Elektro-Rollstuhl unterwegs sein und die Kontrolle über das Gefährt verlieren. Auch in der Nacht sieht Kerstin Groll deswegen zwei bis drei Mal nach Andrea Büttig. Medikamente, Arztbesuche und organisatorische Fragen klärt sie mit Andrea Büttig, deren Arzt, den anderen Assistenzkräften und Helfern der Vereinigung Integrations-Förderung ab. Auf die leichte Schulter darf sie ihre Aufgabe nicht nehmen - trotzdem hat sie es bisher nie bereut, die Stelle angenommen zu haben. "Ich könnte mir nie im Leben vorstellen, von 9 bis 17 Uhr in einem Büro zu arbeiten", sagt sie. "Hier dagegen habe ich das Gefühl, etwas Wichtiges und Sinnvolles zu tun."
*Namen geändert
Zum Ausruhen aufs Bett:
Markus Lenk hilft Ursula Richter aus dem Rollstuhl
Ein ganzes Berufsleben am Schreibtisch verbringen? Für Markus Lenk* unvorstellbar. Der 44-Jährige absolvierte einer Ausbildung bei einer Krankenkasse, bevor er - im Zivildienst beim Malteser Hilfsdienst in Aichach - zum ersten Mal mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kam. "Danach wieder zurück in den Büroalltag, das war hart", erinnert er sich. Trotzdem hielt er noch ein paar Jahre durch, bis er 2004 einen Schlussstrich zog, kündigte und über die Vereinigung Integrations-Förderung seine erste Stelle als Assistent übernahm. Bürotrott hat er seitdem nicht mehr erlebt. "Kein Arbeitstag ist wie der davor oder der danach", sagt er. Seine Arbeit ist vielseitig, und wer ihn am Arbeitsplatz besucht, spürt das besondere Vertrauensverhältnis, das Lenk und seine Arbeitgeberin Ursula Richter in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut haben. Es wird gelacht, gefrozzelt - redeten sich die beiden nicht mit Sie an, würden sie wie Freunde wirken, nicht wie eine Arbeitgeberin und ihr Angestellter.
Mit dem Kleinbus in den BiergartenDie 65-Jährige leidet an einer ererbten neuromuskulären Erkrankung, die zum steten Muskelabbau führt. Noch mit neun Jahren konnte Ursula Richter gehen, doch als sie zum ersten Mal auf einem Fahrrad saß und wiederholt umkippte, wurde den Eltern klar, dass etwas mit ihrer Koordination nicht stimmte. Der Arzt diagnostizierte schließlich einen seltenen Gendefekt. Heute sitzt Ursula Richter im Rollstuhl und kann ihre Hände nur noch eingeschränkt bewegen. "Mahlzeiten zubereiten, von Lenk schreiben, mich kämmen oder eine Flasche öffnen ist für mich unmöglich", sagt sie. "Dafür habe ich meine Assistenten." Markus Lenk ist Teil ihres Teams, kommt zehn Mal pro Monat jeweils von elf bis 21 Uhr, kocht, wäscht, macht sauber, dreht bei Bedarf eine neue Glühbirne in die Lampenfassung, mit anderen Worten: Er ersetzt Ursula Richters Hände. Regelmäßig setzt er sich auch ans Steuer ihres Kleinbusses und fährt mit ihr los: Zu einem der verschiedenen Arbeitskreise, an denen sie teilnimmt, in den nahegelegenen Biergarten im Münchner Hirschgarten, oder auch einmal über drei Tage nach Bonn zur Hochzeit eines Neffen von Ursula Richter.
"Empathie ist alles"Die beiden sind ein eingespieltes Team und schätzen den unkomplizierten Umgang miteinander. "Empathie ist alles", sagt Markus Lenk, wenn er darüber spricht, was einen guten Assistenten ausmacht. "Ich will meinen Tagesablauf selbst bestimmen", betont Ursula Richter. Selbst gut gemeinte Anweisungen, wie ein Mensch mit Behinderung sein Leben zu gestalten habe, können in einem Assistenz-Arbeitsverhältnis fehl am Platz sein. Wichtiger als kluge Ratschläge ist die Bereitschaft, zu einer gemeinsamen Wellenlänge mit dem Assistenznehmer zu finden. "Ich hatte in meinem familiären Umfeld in den vergangenen Jahren einige Todesfälle, die nicht einfach für mich waren", erinnert sich Ursula Richter. "Dass ich Markus Lenk vollkommen vertrauen kann, war in dieser Situation eine große Hilfe für mich."
Ihr Assistent sieht's genauso - und er ist froh über die Freiräume, die ihm die Arbeit lässt. Nebenher hat er eine weitere Stelle als Kundenberater in einer WeinLenklung. Theoretisch eröffnet Lenk die Teilzeitbeschäftigung bei Ursula Richter sogar die Möglichkeit, sich selbständig zu machen. "Warum nicht mit einem eigenen Weingeschäft?", fragt Ursula Richter im Scherz. Denkbar wäre vieles - aber eigentlich gefällt Markus Lenk sein Leben, so wie es ist, gerade ziemlich gut.
*Namen geändert
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